s'Blattl für Senioren 2014-Nr. 2 - page 4

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s`Blattl für Senioren
Pensionistenverband Österreichs · Bezirk Innsbruck Stadt
Christa Klink (77) bittet ihre Tochter (48):
„Ja, ich werde nun alt. Bitte, sei doch nachsichtig mit mir“
Nicht mehr so zu können wie einst – das kann wehtun. Besonders wenn die eigenen Kinder es einen spüren lassen.
s war einer dieser Familien-
E
Sonntage, an denen ich raus aufs
Land zu meinen Eltern nach Hitzacker
fuhr. Es wurde gut gegessen,
erzählt, gelacht, Kaffee getrunken.
Alles wie immer. Und doch nicht.
Dieses Mal nahm meine Mama (77)
mich beiseite und sagte: „Es gibt da
etwas, worüber ich mit dir sprechen
möchte. Höre mir bitte einfach mal
zu.“ Mich durchfuhr ein Riesen-
Schreck. Mein erster Gedanke war,
sie oder mein Vater (74) wären
krank. Ich folgte meiner Mutter ins
Wohnzimmer, wo wir allein waren.
Dann fing sie an zu reden, und ich
hörte still und aufmerksam zu…
„Sabine, du merkst es wohl gar
nicht, aber ich spüre schon seit
einiger Zeit, dass ich meinen
Kindern nicht mehr so gut folgen
kann. Ja, ich werde nun doch alt. Du
musst nicht mit den Augen rollen, so
ist es nun mal. So ist die Natur,
niemand hat Schuld. Und es ist okay.
Tut aber auch weh. Dein Vater und
ich finden uns nicht mehr so locker
zurecht in dieser schnelllebigen
Zeit, und ich bitte dich, siehe es mir
und auch deinem Vater nach. Da
sind so einige Dinge, ich will dir mal
ein paar nennen. Weißt du noch, als
wir uns das letzte Mal in der
Hamburger Innenstadt treffen
wollten? Ich vor Karstadt um 11 Uhr
auf dich wartete und du woanders
um 10 Uhr? Ich war so sicher, dass
wir es genau so verabredet hatten.
Und doch ahnte ich, dass es am Ende
wieder heißen würde: Mama! Mit
dir kann man sich nicht mehr
verabreden, du kannst es dir nie
richtig merken! Es war ja nicht das
erste Mal. Weißt du, wie schlimm es
für mich war, nach einer Stunde
Warten unverrichteter Dinge wieder
nach Hause zu fahren? Und dann
tatsächlich, dein Ton am Telefon:
Mama, schaff dir endlich ein
eigenes Handy an. Meine Zeit ist
echt zu kostbar für solche Aktionen!
Das traf mich tief, gab mir das
Gefühl, als wäre ich raus. Als ich
aufgelegt hatte, dachte ich: Okay,
dann machen wir das auch nicht
mehr.‘ Doch als ich abends im Bett
lag, musste ich an dich denken, wie
du klein warst. Weißt du eigentlich,
wie oft du als kleines Mädchen im
Warenhaus ausgerufen worden bist?
Ständig warst du plötzlich
verschwunden, bist gedankenlos
drauflos gerannt. Immer wieder
habe ich dich gesucht, überall, und
habe dich immer gefunden. Du hast
geweint, wir beiden hatten einen
Riesen-Schreck. Dann habe ich dich
auf den Arm genommen und gesagt:
Alles ist gut, Binchen. Mama ist bei
dir. Du gehst nicht verloren.‘ Wie
schön wäre es, wenn du heute
ähnlich zu mir sein könntest und
sagen würdest: ,Kein Problem,
Mama. Mach dir keinen Kopf. Das
nächste Mal machen wir das
besser.‘ Ich merke ja selbst, dass ich
einiges nicht mehr so hinkriege.
Weiß selbst, dass ich nicht mehr so
gut höre. Aber das ist kein Grund,
wenn ich mal wieder nachfrage oder
gar nicht reagiere, gleich zu
schreien, als wäre ich zu blöd zu
verstehen. Ich traue mich oft schon
gar nicht mehr nachzufragen.
Deutlich sprechen, mich dabei
ansehen, das würde reichen,
Sabine. Dann verstehe ich schon.
Und nicht nur akustisch! Dass wir in
unserer Familie immer tolle
Gespräche hatten, über das, was in
der Welt geschieht, im Beruf, in der
Schule, dass jeder zu Wort kam,
auch die Kinder, darauf war ich
immer stolz. Und jetzt? Fällt euch gar
nicht auf, dass dein Vater und ich
immer mehr verstummen? Wenn wir
uns einbringen wollen, hört ihr uns
einen Satz lang zu, dann geht der
Blick weg, und ihr Jüngeren
diskutiert unter euch weiter. Dein
Vater und ich lesen jeden Tag
Zeitung, sehen Nachrichten,
informieren uns. Und wenn wir einen
Begriff nicht richtig aussprechen,
ich etwa Eimail statt E-Mail sage,
grinst ihr und geht einfach darüber
hinweg. Unsere Meinung zählt nicht
mehr? Wir haben euch Kindern
immer zugehört. Euch Kleine ernst
genommen, wenn ihr versucht habt
auszudrücken, was euch auf dem
Herzen lag. Wir haben nicht mit dem
Kopf geschüttelt, wenn ihr etwas
umgekippt habt, mit Flecken auf dem
Pulli losgelaufen, gestolpert seid.
Wir haben euch auf die Sprünge
geholfen. Euch gelassen, eurer
Entwicklung gemäß ermutigt.
Wollten euch verstehen. Und genau
das wünsche ich mir von meinen
Kindern heute auch. Klar kann man
mal über ein Missgeschick lachen.
Das tue ich ja auch. Es ist ja auch
nicht alles altersbedingt, was uns
passiert. Aber bei jedem Vergessen,
Verwechseln, jedem Missgeschick
denke ich: Oh, wieder ein Zeichen,
dass du abbaust.‘ Glaube mir
Sabine, wenn du in mein Alter
kommst, wirst du bestimmt ähnlich
empfinden, wenn wieder etwas
dazukommt, das nicht mehr klappt.
Man muss sich ständig von etwas
verabschieden. Lange Reisen?
Sport? Autofahren? Wie lange wird
es noch gehen? Autofahren. Sabine,
wenn dein Vater Schwierigkeiten
beim Einparken hat, langsamer fährt,
anders schaltet als du, lass ihn!
Dein Vater hat uns sicher und heil
durch die ganze Welt kutschiert.
Erinnere dich! Mit einer
Engelsgeduld hat Papa dir das
Schwimmen, das Radfahren
beigebracht, ist mit dir stundenlang
um den Block gerannt, eine Hand am
Gepäckträger, bis du es konntest.
Und war so stolz
ch denke oft an meine eigene
I
Mutter, wie ich mit ihr damals
umgegangen bin. Ich war auch
ungeduldig, oft sogar barsch zu ihr,
wenn sie beleidigt war, weil ich
später als abgemacht angerufen
hatte. Heute weiß ich, wie sie sich
gefühlt hat, und es tut mir so leid,
aber ich kann es ihr nicht mehr
sagen. Und weißt du, wer uns
überhaupt nicht alt fühlen lässt?
Dein Sohn, unser Enkel. Paul mit
seinen 15 Jahren scheint das alles
nicht zu interessieren. Er erzählt uns
nach wie vor alles, als seien wir
mittendrin. Für ihn backe ich immer
noch den besten Käsekuchen und ist
Opa cool. Das tut uns so gut. Ja, das
wollte ich dir einmal sagen.“ Dann
gab es ein paar Tränen. Nicken.
Verstehen. Und eine lange
Umarmung.
s war gut, dass Christa Klink
E
offen zu ihrer Tochter war!
ieser Originalartikel wurde von
D
Sabine Klink, Chefreporterin der
Redaktion tina / tinaWoman uns zur
Verfügung gestellt.
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